/ Februar 13, 2025/ Buch

Mit Niemals aus Liebe legen die Journalistinnen Miriam Suter und Natalia Widla eine tiefgehende und schonungslose Analyse eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme vor: Männergewalt an Frauen. Basierend auf aktuellen Fallanalysen, Gesprächen mit Fachleuten und umfassender Recherche beleuchten sie die Mechanismen hinter häuslicher und sexualisierter Gewalt – und was die Schweiz unternimmt, um solche Verbrechen zu verhindern. Das Buch ist keine leichte Lektüre, aber eine unverzichtbare.

Ein Blick auf die Realität: Zahlen, die alarmieren

Alle zwei Wochen wird in der Schweiz eine Frau von einem Partner oder Ex-Partner getötet. Jede Woche überlebt eine Frau einen versuchten Femizid. Diese Zahlen zeigen, dass Männergewalt an Frauen keine Einzelfälle sind, sondern ein strukturelles Problem darstellen. Suter und Widla beginnen ihre Analyse mit einer klaren und faktenbasierten Bestandsaufnahme: Sie zeigen auf, dass patriarchale Strukturen, toxische Männlichkeitsbilder und gesellschaftliche Normen Gewalt fördern und oft verharmlosen.

Doch das Buch geht weit über eine bloße Dokumentation hinaus. Die Autorinnen setzen sich intensiv mit der Frage auseinander, warum Männer gewalttätig werden und wie die Gesellschaft mit diesen Tätern umgeht. Dabei nehmen sie sowohl die juristischen und politischen Rahmenbedingungen als auch psychologische und soziale Aspekte unter die Lupe.

Wer sind die Täter? Eine differenzierte Analyse

Ein zentrales Anliegen des Buches ist es, die Täter nicht nur als gesichtslose Verbrecher darzustellen, sondern als Männer, die innerhalb gesellschaftlicher Strukturen sozialisiert wurden. Dabei ziehen Suter und Widla Experten aus verschiedenen Disziplinen zu Rate, darunter den Schweizer Männer- und Vaterverbandspräsidenten Markus Theunert, die forensische Diagnostikerin Nahlah Saimeh sowie die Soziologin und Aktivistin Melanie Brazzell.

Diese multiperspektivische Betrachtung macht deutlich: Männer, die Gewalt ausüben, sind nicht zwangsläufig „Monster“, sondern oft tief in problematischen Männlichkeitsvorstellungen verwurzelt. Kontrollverlust, Besitzdenken und mangelnde emotionale Bewältigungsstrategien spielen eine große Rolle. Die Autorinnen betonen jedoch, dass es keine Entschuldigung für Gewalt gibt – sie machen klar, dass es sich um bewusste Entscheidungen handelt, die durch gesellschaftliche Mechanismen begünstigt werden.

Die Rolle von Justiz und Politik: Versagen oder Fortschritt?

Ein besonders aufschlussreiches Kapitel widmet sich der Frage, welche politischen und juristischen Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen vor Gewalt zu schützen. Im Gespräch mit Strafrechtsprofessorin Nora Markwalder und Bundesrat Beat Jans wird deutlich, dass es zwar Fortschritte gibt, aber weiterhin große Lücken bestehen.

Viele Frauen erleben, dass Anzeigen wegen häuslicher Gewalt nicht ernst genommen werden, dass Schutzmaßnahmen unzureichend sind oder dass Täter milde Strafen erhalten. Hier zeigt das Buch schonungslos auf, dass Prävention und Strafverfolgung noch immer nicht die Dringlichkeit haben, die sie benötigen. Gleichzeitig werden auch erfolgreiche Ansätze vorgestellt, die Hoffnung machen.

Prävention und Lösungsansätze: Was muss sich ändern?

Suter und Widla belassen es nicht bei der Analyse, sondern widmen sich ausführlich den Möglichkeiten der Prävention. Sie sprechen mit Fachleuten aus der Psychologie und der Sozialarbeit über Programme zur Tätertherapie, über geschlechtssensible Erziehung und über politische Maßnahmen, die Gewalt verhindern könnten.

Besonders spannend ist die Frage, inwiefern ein Umdenken bei Männern selbst notwendig ist. Wie kann man Jungen frühzeitig vermitteln, dass Gewalt keine Option ist? Welche Rolle spielen Medien, Schulen und Eltern? Das Buch fordert dazu auf, nicht nur auf Gesetze zu setzen, sondern tiefgehende gesellschaftliche Veränderungen zu fordern.

Ein kraftvolles, unbequemes und wichtiges Buch

Niemals aus Liebe ist keine einfache Lektüre – und das soll es auch nicht sein. Es ist ein Buch, das aufrüttelt, das Fragen stellt und keine einfachen Antworten gibt. Es ist ein Buch, das deutlich macht: Männergewalt an Frauen ist kein Randproblem, sondern ein gesellschaftliches Versagen.

Die Stärke des Buches liegt in seiner Vielschichtigkeit. Es ist nicht nur eine Analyse von Verbrechen, sondern auch ein Aufruf zur Veränderung. Suter und Widla schreiben klar und verständlich, vermeiden reißerische Darstellungen und bieten stattdessen fundierte, tiefgehende Einsichten.

Am Ende bleibt die Frage: Wie viele Frauen müssen noch sterben, bevor sich grundlegend etwas ändert? Dieses Buch ist ein Weckruf – an die Politik, an die Justiz, aber auch an jede und jeden Einzelnen von uns.

Fazit: Eine absolut empfehlenswerte, wichtige und mutige Auseinandersetzung mit einem drängenden Thema. Wer verstehen will, warum Männer zu Tätern werden und was dagegen getan werden kann, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Limmat; 2. Edition (10. Oktober 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 304 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3039260782
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3039260782
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.1 x 2.6 x 20.9 cm
  • 32 Euro

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