Es gibt Bücher, die man durchblättert, und Bücher, die man erlebt. Rezepte aus Schränken von Thomas Siepe gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Dieses außergewöhnlich warmherzige Werk ist mehr als eine bloße Rezeptsammlung – es ist ein Streifzug durch Küchen voller Erinnerungen, ein Duft von früher Kindheit, das Klirren von Emailletöpfen und das leise Knistern vergilbter Notizzettel am Kühlschrank. Mit viel Gefühl und einem Augenzwinkern hat Siepe die kulinarischen Schätze seiner Familie zusammengetragen – und sie mit uns geteilt.
Schon der Titel weckt Neugier: Rezepte aus Schränken. Es klingt nach etwas Verstecktem, etwas, das vielleicht fast vergessen war – und nun mit neuem Leben erfüllt wird. Und genau das ist die Kraft dieses Buches: Es holt alte Rezepte aus dem Schatten, erzählt ihre Geschichten und zeigt, wie zeitlos guter Geschmack sein kann.
Eine Sammlung voller Persönlichkeit
Was dieses Buch sofort von anderen Kochbüchern abhebt, ist seine persönliche Note. Jedes Kapitel ist wie ein Besuch bei einem anderen Familienmitglied – bei der Großmutter, die mit stoischer Ruhe ihre legendären Rinderrouladen zubereitet hat; bei der Mutter, deren saftiger Apfelkuchen nicht nur nach Obst, sondern auch nach Geborgenheit schmeckt; bei der Tante, die mit feinem Gespür für süß und salzig experimentierte; und beim Junggesellen, der mit wenigen Zutaten und viel Humor erstaunlich kreative Gerichte auf den Tisch zaubert.
Diese Mischung ist herrlich unperfekt – und gerade deshalb so wunderbar authentisch. Denn hier geht es nicht um Hochglanzgerichte oder trendige Superfoods, sondern um das, was in echten Küchen gekocht wird: Hausmannskost, Kindheitsklassiker, Alltagsfreuden. Zwischen Kartoffelsuppe, Sonntagsbraten, Blechkuchen und improvisierten Nudelpfannen finden sich Gerichte, die jeder nachkochen kann – und die dennoch Raum für eigene Ideen lassen.
Von Nostalgie durchzogen – aber nie verstaubt
Besonders berührend ist, wie Siepe es schafft, Erinnerungen in Worte zu fassen, ohne sentimental zu werden. Seine Beschreibungen sind poetisch, aber geerdet – etwa wenn er erzählt, wie der Duft von frisch gebackenem Butterkuchen an Omas Sommerschürze erinnerte oder wie der Junggesellenreis mit Thunfisch und Senf in späten WG-Nächten zur Rettung wurde. Dabei vermeidet er es, Rezepte zu verklären. Er schreibt ehrlich, direkt und mit einem feinen Gespür für Zwischentöne. Und genau das macht das Buch so lebendig.
Ein schöner Bonus sind die kleinen Anekdoten, die viele der Rezepte begleiten. Sie geben den Gerichten einen Rahmen, einen Kontext – und lassen den Leser tief eintauchen in eine familiäre Welt, die viele von uns auf die eine oder andere Weise wiedererkennen werden.
Die Rezepte – traditionell, kreativ, zugänglich
Kochtechnisch bietet das Buch einen angenehm breiten Querschnitt. Von Klassikern wie Linseneintopf, Frikadellen oder Milchreis bis hin zu kleinen, modernen Ausreißern wie Ofengemüse mit Feta oder Couscous mit Kräuterjoghurt – alles ist leicht verständlich beschrieben, mit übersichtlichen Zutatenlisten und klaren Zubereitungsschritten. Selbst Kochanfänger werden sich hier schnell zurechtfinden.
Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass Siepe bewusst auf komplizierte oder teure Zutaten verzichtet. Vieles findet sich tatsächlich „im Schrank“ – oder zumindest im nächstgelegenen Supermarkt. Das macht die Rezepte alltagstauglich und nahbar.
Ein weiteres Highlight: Viele der Gerichte lassen sich wunderbar abwandeln. Siepe gibt oft kleine Tipps, wie man etwas ersetzen oder ergänzen kann – ganz so, wie man es von echten Familienrezepten kennt. Das macht Lust aufs Ausprobieren, Kombinieren und Weiterentwickeln.
Gestaltung – schlicht, charmant und liebevoll gemacht
Das Buch ist broschiert, aber dennoch hochwertig verarbeitet. Die Gestaltung ist bewusst zurückhaltend, fast nostalgisch: sanfte Farben, klare Typografie, vereinzelt kleine Illustrationen und alte Rezeptnotizen als Bildmaterial. Kein überladenes Layout, keine überinszenierten Food-Fotos – dafür ganz viel Herz.
Gerade dieser zurückgenommene Stil passt perfekt zum Inhalt. Man hat beim Durchblättern das Gefühl, durch ein handschriftliches Familienkochbuch zu blättern – mit Kaffeeflecken auf der Ecke und dem Gefühl von Zeit, die nicht eilt.
Fazit: Ein Buch zum Kochen, Erinnern und Verschenken
Rezepte aus Schränken ist ein Schatz. Kein laut schillerndes, modernes Hochglanz-Kochbuch, sondern ein stilles, ehrliches Werk, das von Familie, Essen und Zusammenhalt erzählt. Es ist ein Buch, das man nicht nur wegen der Rezepte liest, sondern wegen der Geschichten dahinter. Ein Buch, das einem das Gefühl gibt, zu Hause zu sein – selbst wenn man gerade allein in einer kleinen Küche steht.
Für alle, die das Kochen lieben – oder die es wieder lieben lernen möchten. Für alle, die sich nach den Aromen ihrer Kindheit sehnen. Für alle, die einfache, ehrliche Küche zu schätzen wissen. Und für alle, die glauben, dass gute Rezepte nicht nur aus Zutaten bestehen, sondern aus Erinnerungen.
Thomas Siepe hat mit diesem Buch ein kulinarisches Denkmal gesetzt – für seine Familie, für vergangene Generationen und für den Zauber des Alltäglichen.
- Herausgeber : Fischer, Karin
- Erscheinungstermin : 15. April 2025
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 128 Seiten
- ISBN-10 : 3842249837
- ISBN-13 : 978-3842249837
- Abmessungen : 13.2 x 1.1 x 20.1 cm
- 11,80 Euro