/ Januar 25, 2022/ Ratgeber

Der Autor, Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung in Baden-Württemberg geht der Frage nach…was hat das Alphabet mit unserem heutigen Denken zu tun? Hier hat er ein Buch zum Thema der globalen Vereinheitlichung der Religionen mit Schwerpunkt auf Christentum und Judentum versus religiösen Fundamentalismus vorgelegt.

Der Leser findet sich öfter in Auseinandersetzung innerhalb der Religionen als zwischen diesen.

Im Werk werden geschichtlichen Analysen der Gegenwart eingeflossen.

Die Perspektive eines Dualismus, den oft Fundamentalisten, Weltverschwörer und Wissenschaftsleugner verwenden versus einer monistischen bzw. liberalen und auf christlichen Fundamenten fußenden offenen Gesellschaft ist Teil des Werks..

Das Buch wurde im Hardcover herausgegeben. Es ist mit 160 Seiten gut überschaubar und handlich.

Geeignet ist das Buch sowohl für den Laien als auch den Experten, der sich zum Thema vertiefen mag, eine gute Studie und mit der riesigen Fußnotenzahl ein inspirierender Quell für eine Weiterbefassung. Blume liest sich teils trocken, schwer und sehr theoretisch und manchmal wäre mehr praktischer Bezug bzw. Leichtigkeit in der Sprache einfacher zum Verstehen. Er glänzt hier mit einem fundierten und riesigen Fundus an Quellen, Zitaten und Wissen. Manchmal ist mir die Aneinanderreihung desselben zu viel und zu wenig Schlussfolgerung.

Blume beginnt mit dem großen Philosophen Hans Blumenberg im ersten Teil mit den Mythen und Namen, die notwendig sind, um dem „Absolutismus der Wirklichkeit“ standhalten zu können. Die Antithese von Mythos und Vernunft ist somit nicht haltbar und er verbindet hier Herz und Verstand miteinander. Man merkt, dass hier ein Wissenschaftler analysiert, der seinem Leser Blumenberg „zumutet“. Er vertritt die These, dass mit dem von uns erlebten Zusammenbruch der Welt eine grundlegende Transformation von Mythologien, Religionen und insbesondere der Kirchen einhergeht. Vernunft und Dialogwillen stürzen in sich zusammen und entwickeln durch die neuen Medien einen Dualismus, der in einem Kreuzzug gegen die bedrohlich und verschwörerisch empfundenen Erkenntnisse der Wissenschaften mündet. Die religiöse und politische Vertrauenskrise ist nicht mehr zu leugnen.
Er sieht „die Bruchlinien nicht mehr zwischen den Religionen, sondern innerhalb dieser – wischen Monisten, die von einer Einheit der erfahrbaren Welt ausgehen, und Dualisten, die hinter der Globalisierung eine bösartige Weltverschwörung vermuten.“ Ein Kampf quer durch alle Kulturkreise, Staaten, Regionen und Gemeinden und sogar in jeder und jedem von uns selbst – nicht mehr „nur aufs Blut, sondern bis ins Blut“. Er sieht hier den sächsisch-säkularen Nationalisten, die brasilianisch-evangelikale Fundamentalistin und den pakistanischen Islamisten, trotz ihrer kulturellen Unterschiede, in einer Einheit bei der Ablehnung von Feminismus, Semitismus, Homosexualität, säkularer Rechtsstaatlichkeit und Wissenschaft.

„Gegen monistisch-religiöse, oft spirituelle Entwürfe einer ökologischen Religiosität stehen damit zunehmend dualistische Gemeinschaften, die die Verantwortung für die Folgen ihres eigenen Wirtschaftsmodells und Wohlstands auf vermeintliche „Verschwörer“ übertragen wollen.“
Er mündet in dem Plädoyer Karl Poppers „Wir tragen das Kreuz dafür, dass wir Menschen sind.“ Von diesem zeichnet er nach monistischem Verständnis die Überwindung der dualistischen Kampfgemeinschaften gegen Falsch- und Ungläubige hin zu einer „offenen Gesellschaft“ als einander unterstützende und soziale Arbeit leistende Netzwerke von Weggefährten, ja gar Pilgern.

Es verstecken sich in Blume’s Buch große philosophisch-aufgeklärte und starke Ideen und Sprüche, welche aus meiner Sicht mehr Bedeutung und Kennzeichnung bedürfen, um aufmerksam behalten und einer größeren Öffentlichkeit kenntlich zu werden. Sie gehen oft in der Aneinanderreihung von Fakten unter. „Wissenschaft nimmt die Dinge auseinander, um zu sehen, wie sie funktionieren und Religion fügt Dinge zusammen, um zu sehen, was sie bedeuten.“ Ein wenig Humor scheint durch bei dem Satz des orthodoxen Rabbiners Julian-Chaim Soussan zum jüdisch-christlichen Dialog, dass beide Religionen „unterschiedliche Bücher läsen, die nur zufällig den gleichen Text haben.“

Der Autor setzt sich im Buch wie bereits in den Vorgängerbüchern mit der Macht der Alphabete und den Religionen auseinander sowie dessen geografischer Verbreitung. Er zeigt hier auf, wie der buchorientierte Semitismus sowie der Historizismus in die digitalen Medien Einzug hält und den Religionen als auch dualistischen Fundamentlisten einen neuen Aufschwung in der Welt verleiht. Die mächtigsten Worte der deutschen Sprache sieht er dann in die vielleicht wichtigsten Wörtern Arbeit und Bildung.

Es kann nur Geschichten und niemals EINE Geschichte geben – eine revolutionäre Konsequenz nach Popper. Blume findet dann in Marshall McLuhan die Erkenntnis „In Jesus gibt es keine Entfernung oder Trennung zwischen dem Medium und der Botschaft. Medium und Message sind vollständig eins.“ Wenn das nur alle Christen, Juden und Muslime genauso sehen. Blume nimmt hierzu in einem längeren Diskurs das nach ihm bedeutendste und bislang nicht genügend gewürdigte Gemälde der deutschen Kunstgeschichte „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ (1879) des deutsch-jüdischen Malers Max Liebermann auseinander. Diese ist die direkte Infragestellung von christlichem Antisemitismus und Historizismus und ist heute in der Hamburger Kunsthalle zu bewundern.

Kirchen sind also der monistischen Säkularisierung einerseits und einer dualistischen Radikalisierung ebenso ausgesetzt wie die gesamte Gesellschaft, der Islam, der Hinduismus, der chinesische Marxismus-Nationalismus und viele andere. Wir stehen also nach Blume vor der Frage: „ob wir die gleichzeitige Beschleunigung und auch Verrohung der Kommunikation durch digitale Medien zusammen mit dem Heranrasen der Klimakrise ertragen können; ob wir in den individualistisch-biedermeierlichen Rückzug fliehen – oder ob wir uns den dualistischen Kreuzzüglern anschließen, die gegen Impfungen, Forschungen und letztendlich gegen die liberalen Demokratien zu Felde ziehen.“ Er schreibt für ein Bewusstwerden der europäischen Idee und symbolhaften europäischen Flagge an, in der sich der Entwerfer Arsène Heitz auf die Johannes-Offenbarung berief: „Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt.“ Die Flagge wurde vom Europarat am Feiertag der „Unbefleckten Empfängnis Mariens“ am 08.12.1955 angenommen. Welch Symbolik dahinter!

So lehrt die Bibel letztendlich Gläubige und Nichtgläubige, was es bedeuten kann, Mensch zu sein.
Blume sieht harte Jahre auf die Kirchen und die Gesellschaft zukommen und glaubt parallel an die Kraft ökumenischer – die gesamte Welt umspannende – Bündnisse. Nach Karl Popper: „Es ist wahr – wir brauchen Hoffnung; ohne Hoffnung zu handeln oder zu leben übersteigt unsere Kraft. Aber wir brauchen nicht mehr; und man darf nicht mehr versprechen.“

Ich schließe mit Mutter Theresa und ihrer Antwort auf die Frage: Was sich ihrer Meinung nach als Erstes in der Kirche ändern müsse: „Sie und ich!“. Welche wundervolle Aufhebung des Dualismus in der Welt!
Das Buch sei jedem empfohlen, der sich hoffnungsvoll dem Thema annähern und vertiefen mag, in die Idee einer inklusiveren besseren Welt, Politik und/ oder Kirche.

5-mal Beethovens Ode an die Freude für die Intention und Gewaltigkeit der Analysen und Schlussfolgerungen in diesem Werk.

von Michael Blume  (Autor)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Patmos Verlag; 1. Edition (2. November 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 160 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 384361332X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3843613323
  • Abmessungen ‏ : ‎ 14.7 x 2 x 22.6 cm

Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*
*