
Als „Westwärts 1 & 2“ im Mai 1975 erschien, war es mehr als nur ein neuer Gedichtband – es war eine literarische Sensation. Rolf Dieter Brinkmann, der als Enfant terrible der deutschen Literatur galt, hatte jahrelang nichts veröffentlicht. Dann, nur wenige Tage nach seinem tragischen Tod bei einem Verkehrsunfall in London, wurde das Werk veröffentlicht und schlug ein wie ein Paukenschlag.
Seitdem gilt dieser Band als einer der wichtigsten Lyrikveröffentlichungen der 1970er Jahre. Doch was die Öffentlichkeit damals nicht wusste: Die Version, die erschien, war nicht vollständig. Brinkmann musste vor der Veröffentlichung Kürzungen vornehmen, einige Gedichte blieben unveröffentlicht, ein geplantes Nachwort wurde gestrichen. Erst 2005 erschien eine erweiterte Fassung, die das Werk in einem vollständigeren Licht zeigte. Und nun, zum 50. Todestag des Autors, gibt es eine neue, bedeutende Entdeckung: Im Nachlass fanden sich weitere Gedichte, die ursprünglich für den Band vorgesehen waren. Der Brinkmann-Biograf Michael Töteberg berichtet in einem Nachwort über diese Funde und gibt Einblicke in das unermüdliche Schaffen des Autors.
Brinkmanns radikale Lyrik – ein Aufstand gegen Konventionen
Rolf Dieter Brinkmann war kein Dichter, der sich an Regeln hielt. Er wollte die Welt roh und direkt einfangen, ohne Beschönigung, ohne klassische Poesie-Ästhetik. Seine Texte sind geprägt von Momentaufnahmen, von einer fast filmischen Wahrnehmung der Realität. Er brachte die amerikanische Pop-Lyrik nach Deutschland, ließ sich von Beat-Poeten wie Allen Ginsberg und Frank O’Hara inspirieren und schuf eine völlig neue Art von deutscher Lyrik.
Während seine frühen Gedichte oft kurzzeilig und schnappschussartig waren – beeinflusst von der Popkultur und dem urbanen Leben –, entwickelten sich seine späteren Werke zu vielschichtigen, ausufernden Texten. Seine Sprache war direkt, oft hart, manchmal brutal, aber immer intensiv. „Westwärts 1 & 2“ ist das beste Beispiel für diese Entwicklung: ein wütender, poetischer, ungeschönter Blick auf die Welt, geschrieben aus der Perspektive eines Außenseiters, der sich gegen die verlogenen Strukturen der Gesellschaft auflehnte.
Ein Autor zwischen Rebellion und Verzweiflung
Brinkmanns Werk war immer ein Spagat zwischen Auflehnung und Verzweiflung. Er lehnte das Leben, wie es war, oft ab – nannte es „etwas unvorstellbar Gemeines, Viehisches“. Doch zugleich war er fasziniert davon, sog es in sich auf, suchte nach Schönheit in der Hässlichkeit, nach Wahrheit in der Alltagsbanalität.
Seine Gedichte sind voller Widersprüche: Sie sind aggressiv und zärtlich, ekelhaft und wunderschön, voller Wut und voller Sehnsucht. In „Westwärts 1 & 2“ zeigt sich diese Zerrissenheit besonders deutlich. Die Texte sind Momentaufnahmen eines Menschen, der die Welt intensiv erlebt – als wäre jeder Tag sein letzter.
Eine neue Dimension des Werks – Entdeckungen aus dem Nachlass
Die neuen Gedichte, die jetzt im Nachlass entdeckt wurden, geben einen noch tieferen Einblick in Brinkmanns Denken und Schreiben. Sie zeigen, welche Texte er für den Band vorgesehen hatte, welche Themen ihn noch beschäftigten und welche poetischen Wege er weiter erforschen wollte.
Michael Töteberg, der Brinkmanns Leben und Werk seit vielen Jahren erforscht, gibt in seinem Nachwort spannende Einblicke in die Entstehung des Bandes, die Herausforderungen der damaligen Veröffentlichung und die Bedeutung der neu gefundenen Texte. Diese Erweiterung macht „Westwärts 1 & 2“ noch vollständiger – und noch bedeutender für die deutschsprachige Lyrik.
Brinkmanns Vermächtnis – ein unvergesslicher Poet der Rebellion
Auch fast 50 Jahre nach seinem Tod bleibt Rolf Dieter Brinkmann eine der wichtigsten Stimmen der modernen deutschen Lyrik. Sein Einfluss ist bis heute spürbar – in der Art, wie Lyriker:innen die Welt beschreiben, in der Art, wie Poesie sich von Konventionen befreit.
„Westwärts 1 & 2“ ist nicht nur ein Klassiker, sondern ein Werk, das immer wieder neu entdeckt werden kann. Mit der erweiterten Fassung und den neu entdeckten Gedichten wird dieser Gedichtband endgültig zu dem, was Brinkmann vielleicht immer wollte: ein vollständiges, kompromissloses Dokument seiner poetischen Revolte.
Das Werk fängt fängt die Bedeutung von „Westwärts 1 & 2“ brillant ein. Es wird nicht nur die literarische Wucht von Brinkmanns Werk aufgezeigt, sondern betont auch seine Radikalität und sein Streben nach ungeschönter Wahrheit. Besonders gelungen ist die Verknüpfung von Brinkmanns rebellischer Haltung mit seiner lyrischen Entwicklung. Die neuen Funde aus dem Nachlass werden spannend eingeordnet und unterstreichen die anhaltende Relevanz des Autors. Eine kraftvolle und eindringliche Würdigung eines einzigartigen Lyrikers, die Lust macht, sein Werk (neu) zu entdecken!
- Herausgeber : Rowohlt Buchverlag; 1. Edition (18. Februar 2025)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 448 Seiten
- ISBN-10 : 3498007742
- ISBN-13 : 978-3498007744
- Abmessungen : 15.5 x 3.02 x 23 cm
- 52 Euro