„Blumen und Brandsätze“ ist ein Sachbuch, das sich richtig tief in eine der heikelsten Fragen der deutschen Gegenwart einarbeitet: Wen nimmt Deutschland auf – und warum eigentlich? Klaus Neumann, Historiker und guter Beobachter gesellschaftlicher Stimmungen, schaut sich an, wie sich diese Debatte seit den späten 1980er Jahren verändert hat. Und er tut das nicht trocken oder abgehoben, sondern ziemlich nah dran an den Menschen, die vor Ort mit den Folgen politischer Entscheidungen leben.
Neumann zeigt, wie sich Diskussionen über Migration und Asyl immer wieder hochschaukeln: In den frühen 90ern, als über die Änderung von Artikel 16 des Grundgesetzes gestritten wurde. Dann 2015, als auf einmal das Wort „Willkommenskultur“ überall auftauchte. Und später 2022, als viele sagten: „Jetzt ist das Boot endgültig voll“, nachdem so viele Geflüchtete aus der Ukraine kamen. Das Buch macht klar, dass diese Debatten nie wirklich verschwunden sind – sie kommen nur in Wellen zurück.
Das Spannende ist aber, wie Neumann das Ganze erzählt: nicht aus der Sicht großer Politiker oder Talkshows, sondern aus zwei bestimmten Regionen, die auf den ersten Blick kaum etwas miteinander zu tun haben – dem Westen Hamburgs und dem südöstlichen Sachsen. Gerade dort zeigt sich, wie unterschiedlich Menschen mit denselben Fragen umgehen können. Während manche Blumen zur Begrüßung bringen, greifen andere zu Brandsätzen. Daher der Titel.
Dabei wird deutlich, wie sehr lokale Konflikte über Unterkünfte, Integration oder Sicherheit immer auch mit größeren Themen zusammenhängen: Rassismus, Rechtsextremismus, Demokratie, Mitsprache, Identität – und natürlich der alten Ost-West-Spannung, die bis heute mitschwingt. Neumann legt offen, dass es niemals nur um „die Flüchtlinge“ geht, sondern darum, wie sich eine Gesellschaft selbst versteht und wen sie als Teil davon akzeptiert.
Er zeigt, wie unterschiedlich die Motivation sein kann, Menschen Schutz zu geben: mal aus Menschlichkeit, mal aus politischer Überzeugung, mal aus Pragmatismus – oder eben, um jeden Preis zu verhindern, dass neue Leute in die Nachbarschaft ziehen. Aber er macht auch klar, dass viele dieser Reaktionen gar nicht so spontan sind, wie sie scheinen. Hinter jeder Diskussion stecken lange Vorgeschichten, persönliche Erfahrungen, Ängste, Hoffnungen und politische Interessen.
Neumanns Buch öffnet den Blick für dreieinhalb Jahrzehnte deutscher Streitkultur, von hitzigen Gemeinderatssitzungen bis zu landesweiten Debatten. Und er zeigt, wie eng alles miteinander zusammenhängt: DDR-Übersiedler, Asylsuchende aus den 90ern, die Geflüchteten von 2015, Aussiedlerinnen, Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – jede dieser Gruppen hat Reaktionen ausgelöst, die wiederum die nächste Diskussion geprägt haben.
Unterm Strich ist „Blumen und Brandsätze“ nicht nur eine historische Rückschau, sondern auch ein deutliches Statement: Wenn wir über Migration reden wollen, dann bitte informiert, ehrlich und ohne Angstparolen. Neumann plädiert dafür, zu verstehen, warum Deutschland Schutzsuchende aufnimmt – und warum diese Entscheidung immer auch etwas über uns selbst erzählt.
Ein Buch, das nicht immer bequem ist, aber definitiv den Blick schärft für Themen, die uns seit Jahrzehnten begleiten und auch in Zukunft nicht verschwinden werden.

- Herausgeber : Hamburger Edition
- Erscheinungstermin : 15. April 2024
- Auflage : 1.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 512 Seiten
- ISBN-10 : 3868543856
- ISBN-13 : 978-3868543858
- Abmessungen : 15 x 4 x 22.1 cm
- 40 Euro
