
braun, weiss, klein
Wenn man an Italien denkt, hat man meistens zuerst die bekannten Bilder im Kopf: das funkelnde Wasser des Lago Maggiore, romantische Uferpromenaden, kleine Städtchen voller Leben. Was viele aber nicht wissen: Gleich daneben liegt ein Stück Natur, das so wild, so ungezähmt und so völlig anders ist, dass man fast vergisst, dass man sich mitten in Europa befindet. Das Val Grande – die „größte Wildnis Italiens“. Und genau dorthin nimmt einen dieses Buch von Bernhard Herold und Tim Shaw mit. Und zwar nicht trocken und belehrend, sondern so, dass man sofort die Wanderstiefel schnüren möchte.
Schon beim Durchblättern merkt man: Die Autoren wissen, wovon sie reden. Sie waren selbst unterwegs, nicht nur einmal, sondern so oft, dass man das Gefühl bekommt, sie hätten jeden versteckten Pfad, jeden Bachlauf, jede Aussicht mit den eigenen Füßen erkundet. Und genau das macht das Buch so authentisch. Es wirkt nicht wie ein Reiseführer aus zweiter Hand, sondern wie ein liebevoll zusammengestellter Freund, der sagt: „Komm, ich zeig dir was. Aber du musst ein bisschen Ausdauer mitbringen.“
Was direkt auffällt: Diese Neuausgabe ist richtig frisch und praktisch. Alle Infos zu Hütten, Biwakplätzen, Verpflegungsmöglichkeiten und Unterkunftsoptionen wurden aktualisiert. Und das ist im Val Grande nicht irgendein nettes Extra, sondern absolut essenziell – denn dort draußen gibt’s kein Dorf hinter der nächsten Kurve und keinen Cappuccino zur Belohnung. Wer ins Val Grande aufbricht, tut das wirklich in die Wildnis hinein. Und genau deshalb ist es so cool, dass das Buch auch den öffentlichen Verkehr, Buslinien, Zugverbindungen und Anreisemöglichkeiten komplett neu überarbeitet hat. So kann man entspannt planen und muss nicht stundenlang schauen, ob die alte Linie XY noch fährt oder ob man plötzlich irgendwo strandet.
Neben den praktischen Infos liefern Herold und Shaw aber noch etwas, das das Buch zu etwas Besonderem macht: Geschichten. Und zwar echte Geschichten. Vom Tal selbst, von Eremiten, Partisanen, Köhlern, Schmugglern – Menschen, die dort gelebt, sich versteckt, gearbeitet oder einfach in Ruhe sein wollten. Diese Mischung aus Natur, Geschichte und menschlichen Schicksalen verleiht dem Val Grande eine Tiefe, die man sonst nur an Orten spürt, an denen die Zeit langsamer vergeht. Man liest von unerreichbaren Almen, verlassenen Dörfern, von Tälern, die jahrhundertelang genutzt wurden und dann vom Wald zurückerobert wurden. Und plötzlich versteht man: Das hier ist nicht „nur“ Natur. Das ist ein Ort, der Geschichten in sich trägt wie alte Bäume Jahresringe.
Dazu kommen die Porträts von Verbania und Domodossola – zwei Städte, die im Kontrast zum wilden Tal fast wie Tore in zwei verschiedene Welten wirken. Verbania mit seinem mediterranen Flair am Lago Maggiore, Domodossola mit seinen Alpenhäusern und dem historischen Stadtkern. Perfekte Ausgangspunkte, um sich mental zu wappnen: erst ein Espresso, dann die Wildnis.
Was das Buch aber wirklich besonders macht, ist der Ton, in dem es geschrieben ist. Man merkt die Leidenschaft der Autoren auf jeder Seite. Nicht im Sinne von „kitschiger Naturromantik“, sondern ehrlich. So wie Menschen erzählen, die viele Jahre draußen unterwegs waren und ganz genau wissen, wie es sich anfühlt, wenn man nach einem langen Aufstieg plötzlich über dem Nebel steht und die Stille fast dröhnt. Oder wenn man stundenlang niemanden sieht und sich gleichzeitig winzig und frei fühlt. Genau dieses Gefühl transportiert das Buch extrem gut.
Und man muss nicht mal ein Hardcore-Wanderer sein, um das Val Grande spannend zu finden. Das Buch macht Lust auf Abenteuer, aber ohne Druck. Es zeigt Möglichkeiten, erklärt Hintergründe, hilft beim Planen – und motiviert. Man bekommt automatisch Respekt vor dem Gelände, aber auch riesige Lust, es zu entdecken. Denn das Val Grande ist kein Ort, an dem man „mal eben“ vorbeischaut. Es ist ein Ort, den man erleben möchte. Ein bisschen rau, ein bisschen mystisch, aber unglaublich faszinierend.
Kurz gesagt: Dieses Buch ist ein perfekter Begleiter für alle, die Natur lieben, die echte Wildnis erleben wollen oder die einfach neugierig sind, was sich nur ein paar Kilometer hinter den Postkartenmotiven des Lago Maggiore verbirgt. Es ist informativ, atmosphärisch, clever aufgebaut und unglaublich inspirierend.
Wer’s liest, bekommt garantiert Fernweh nach Stille, Wald und Weite – und vielleicht ein kleines, kribbelndes Gefühl von Abenteuer im Bauch. Genau so soll ein gutes Naturbuch sein.
- Herausgeber : Rotpunktverlag
- Erscheinungstermin : 1. Februar 2025
- Auflage : 6. aktualisierte Auflage 2025
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 296 Seiten
- ISBN-10 : 3039730584
- ISBN-13 : 978-3039730582
- Abmessungen : 19 x 12 x 19 cm
- 36 Euro
