Der Roman „Die Kinder von Bilbao“ der französisch-spanischen Autorin Maria Larrea erzählt eine tief bewegende Geschichte über Herkunft, Identität und die Suche nach der Wahrheit über die eigene Familie. Es ist ein Buch über drei Kindheiten – und darüber, wie Vergangenheit, Geheimnisse und Zufälle das Leben über Generationen hinweg prägen.
Am Anfang steht eine Geburt. Die Erzählerin Maria, die in Paris aufgewachsen ist, erinnert sich an ihre eigene Kindheit, an ihre Eltern und an das, was sie von ihrer Familiengeschichte zu wissen glaubt. Doch nach und nach beginnt sie zu ahnen, dass vieles, was ihr erzählt wurde, nicht stimmt. Während sie in ihrer Gegenwart lebt, gräbt sie gleichzeitig in der Vergangenheit – in der ihrer Mutter Victoria und ihres Vaters Julián.
Victoria, die Mutter, wurde in Galicien geboren, einer armen Region im Nordwesten Spaniens. Kurz nach ihrer Geburt wurde sie weggegeben, ohne je zu erfahren, warum. Auch Julián, der Vater, erlebt ein ähnliches Schicksal. Er kommt in Bilbao zur Welt, nur wenige Kilometer entfernt von Victorias Geburtsort, und wird ebenfalls gleich nach seiner Geburt von seiner Familie getrennt. Zwei Kinder, zwei verlorene Anfänge – und doch kreuzen sich ihre Wege viele Jahre später zufällig in Frankreich.
In Paris verlieben sich Victoria und Julián ineinander. Beide tragen die Schatten ihrer Vergangenheit in sich, aber sie versuchen, gemeinsam ein neues Leben aufzubauen. Sie bekommen eine Tochter: Maria, die Erzählerin des Buches. Was als einfache Familiengeschichte beginnt, verwandelt sich bald in eine Spurensuche – eine Reise in die eigene Vergangenheit, bei der sich Wahrheit und Erinnerung immer mehr vermischen.
Maria wächst in einem Einwandererviertel in Paris auf. Ihre Eltern wirken stark und kämpferisch, aber auch geheimnisvoll. Es gibt Dinge, über die nicht gesprochen wird – Andeutungen, Lücken, plötzliche Stimmungswechsel. Als erwachsene Frau beginnt Maria, Fragen zu stellen. Wer sind ihre Eltern wirklich? Was ist damals in Spanien passiert? Und wer ist sie selbst, wenn die Geschichten ihrer Kindheit nicht der Wahrheit entsprechen?
Mit zunehmender Intensität gräbt sie in alten Dokumenten, reist nach Spanien und stößt auf erschütternde Geheimnisse. Sie entdeckt, dass in der Zeit nach dem Spanischen Bürgerkrieg und unter der Diktatur Francos viele Kinder ihren Müttern weggenommen und an andere Familien gegeben wurden – oft ohne deren Wissen oder Einverständnis. Auch ihre Eltern könnten Opfer dieser dunklen Praxis gewesen sein.
Je mehr Maria erfährt, desto mehr gerät ihr eigenes Leben aus dem Gleichgewicht. Sie muss erkennen, dass die Familie, wie sie sie kannte, auf einem Geheimnis gebaut ist. Gleichzeitig wächst ihr Verständnis für die Verletzungen und das Schweigen ihrer Eltern. Die Suche nach der Wahrheit wird für sie zu einem Akt der Befreiung, aber auch zu einer schmerzhaften Konfrontation mit der eigenen Identität.
Der Roman verbindet Familiengeschichte, Zeitgeschichte und Selbstsuche auf eindringliche Weise. Larrea beschreibt das Leben der Eltern mit Wärme und Mitgefühl – das harte Aufwachsen in Armut, die Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frankreich. Gleichzeitig erzählt sie Marias eigene Geschichte als Frau, die in zwei Kulturen zu Hause ist, aber nie ganz weiß, wo sie hingehört.
„Die Kinder von Bilbao“ ist dabei kein klassischer Familienroman, sondern eher ein literarisches Puzzle, in dem die Erzählerin Stück für Stück versucht, ihr eigenes Leben zu verstehen. Es geht um die Macht von Geschichten – darum, wie Erzählungen unsere Identität formen, aber auch, wie sie uns gefangen halten können, wenn sie nicht wahr sind.
Der Ton des Buches ist zugleich poetisch und ehrlich, manchmal zärtlich, manchmal schonungslos. Maria Larrea schreibt mit großer Sensibilität über Themen wie Herkunft, Verlust, Liebe und Selbstfindung. Sie zeigt, wie eng das Persönliche und das Politische miteinander verbunden sind – und dass die Vergangenheit nie wirklich vorbei ist, solange sie uns Fragen stellt.
Am Ende steht keine einfache Antwort, sondern ein tiefes Verständnis: Unsere Wurzeln prägen uns, aber wir sind mehr als das, was uns überliefert wurde. Maria findet Frieden, indem sie ihre Geschichte selbst in die Hand nimmt – und so auch die ihrer Eltern neu schreibt.
„Die Kinder von Bilbao“ ist ein bewegender Roman über das Suchen und Finden der eigenen Wahrheit. Er erinnert daran, dass Identität nicht nur durch Blut und Herkunft entsteht, sondern durch Mut, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen.
- Herausgeber : Kein & Aber
- Erscheinungstermin : 14. Juli 2025
- Auflage : 2.
- Sprache : Deutsch
- Seitenzahl der Print-Ausgabe : 208 Seiten
- ISBN-10 : 3036950591
- ISBN-13 : 978-3036950594
- Originaltitel : Les gens de Bilbao naissent où ils veulent
- Abmessungen : 19 x 12.5 x 2 cm
- 23 Euro