In den sanften Hügeln des malerischen irischen Städtchens Kilcross liegt ein Geheimnis verborgen, das ebenso tröstlich wie schwer ist: Jeanie Masterson, die Tochter des örtlichen Bestatters, trägt die außergewöhnliche Gabe in sich, mit den Verstorbenen zu sprechen. Diese Fähigkeit, die wie ein zarter Faden zwischen Leben und Tod verläuft, prägt nicht nur Jeanies Alltag, sondern auch ihr Herz, das stets zwischen Verantwortung und Sehnsucht balanciert.
Anne Griffin lädt uns mit ihrem berührenden Roman Letzte Wünsche in eine Welt voller leiser Magie und tief empfundener Emotionen ein. Die junge Protagonistin Jeanie steht dabei im Mittelpunkt einer Geschichte, die von Liebe, Verlust und dem Wunsch nach Selbstbestimmung erzählt – Themen, die so universell und doch so persönlich sind, dass sie uns unmittelbar berühren.
Zwischen Himmel und Erde: Jeanies Gabe
Jeanies Leben scheint auf den ersten Blick festgefahren: Als Tochter des Bestatters hat sie von ihrem Vater nicht nur die Verantwortung für den Familienbetrieb übernommen, sondern auch die seltene Gabe, den letzten Wünschen der Verstorbenen Gehör zu schenken. In der kleinen, eng verwobenen Gemeinschaft von Kilcross wird sie für diese Fähigkeit sowohl geschätzt als auch argwöhnisch betrachtet. Denn wer würde sich nicht fragen, welche Geheimnisse sie hinter den geschlossenen Türen des Bestattungsinstituts aufbewahrt? Welche letzten Worte sie für sich behält, welche Wahrheiten unausgesprochen bleiben?
Diese Gabe ist für Jeanie zugleich Segen und Bürde. Sie verbindet sie mit den Seelen, die noch nicht loslassen können, gibt ihr aber auch die schwere Aufgabe, zwischen den Lebenden und den Toten zu vermitteln. Doch wie sehr kann man sich selbst verlieren, wenn man stets nur für andere da ist?
Die Jugendliebe und das Streben nach Freiheit
Inmitten dieses verwobenen Netzes aus Verpflichtung und Mitgefühl gibt es einen Namen, der wie ein leiser Herzschlag durch Jeanies Gedanken hallt: Fionn. Ihre erste große Liebe, der einzige Mensch, der sie so zu verstehen schien, wie sie wirklich war – ein Freigeist, gefangen in den stillen Mauern eines irischen Städtchens. Doch Fionn verließ Kilcross, zog hinaus in die weite Welt, während Jeanie blieb, festgehalten von der Verantwortung gegenüber ihrer Familie und den Menschen, die auf sie zählen.
Anne Griffin zeichnet die emotionale Zerrissenheit einer jungen Frau, die sich nach Freiheit sehnt, nach einem Leben, das ihr gehört, und nicht nur dem Dienst an anderen. Doch wie kann man den Mut finden, auszubrechen, wenn die Bande der Pflicht so stark sind? Und wie kann man sich selbst entdecken, wenn die Schatten der Vergangenheit stets über die eigenen Träume ziehen?
Eine Geschichte voller Wärme und Tiefe
Mit feinfühliger Sprache und einem Gespür für die stillen Momente des Lebens malt Griffin ein Porträt von Kilcross, das fast selbst wie eine Figur des Romans wirkt: ein Ort, an dem die Zeit langsamer vergeht, an dem die Wellen der irischen See Geschichten von Abschied und Neuanfang flüstern. Der Leser wird in eine Welt gezogen, in der die Grenze zwischen Leben und Tod verschwimmt, in der die Stimmen der Verstorbenen nicht unheimlich, sondern tröstend sind – ein sanfter Rückblick auf das, was war, und eine Erinnerung daran, was wirklich zählt.
Emanzipation und Selbstfindung
Letzte Wünsche ist mehr als ein warmherziger Roman über die Liebe und das Sterben. Es ist auch die Geschichte einer Frau, die lernt, ihren eigenen Weg zu finden, sich aus den Zwängen ihrer Herkunft zu lösen und ihre eigene Stimme zu hören. Anne Griffin stellt die großen Fragen des Lebens mit einer sanften, aber eindringlichen Tiefe: Was bedeutet es, zu lieben? Was bleibt von uns, wenn wir gehen? Und wie können wir ein Leben führen, das uns selbst gehört?
Jeanies Reise ist eine Einladung, innezuhalten und über die Entscheidungen nachzudenken, die unser Leben prägen. Mit jeder Seite spürt man ihre innere Stärke wachsen, ihre leise, aber entschlossene Art, das Leben zu umarmen, auch wenn es schmerzhaft ist.
Ein Roman, der das Herz berührt
Mit Letzte Wünsche beweist Anne Griffin erneut ihr außergewöhnliches Talent, Geschichten zu erzählen, die uns an unsere eigene Menschlichkeit erinnern. Die Figuren sind so lebendig, die Emotionen so greifbar, dass man sich unweigerlich selbst in Jeanies Welt hineingezogen fühlt. Es ist ein Buch, das man nicht nur liest, sondern erlebt – ein Werk, das noch lange nach der letzten Seite nachklingt.
Für Leser, die die Wärme und die Tiefe irischer Romane lieben, ist Letzte Wünsche ein wahres Geschenk. Und für alle, die sich nach einer Geschichte sehnen, die ebenso tröstlich wie inspirierend ist, wird dieser Roman zu einem Begleiter, der uns lehrt, das Leben in all seiner Schönheit und Vergänglichkeit zu schätzen.
- Herausgeber : Rowohlt Taschenbuch; 1. Edition (16. Juli 2024)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 384 Seiten
- ISBN-10 : 3499008831
- ISBN-13 : 978-3499008832
- Originaltitel : Listening Still
- Abmessungen : 12.4 x 2.71 x 19 cm
- 14 Euro