John Niven, geboren 1966 in Schottland ist einer meiner Lieblingsautoren da er zweifelslos umstritten ist. Er spielte in den 80er-Jahren Gitarre bei der Indieband „The Wishing Stones“. Besonders gut hat mir sein ersten Buch Kill your Friends gefallen. Es war eine satirische und schonungslose Beobachtung der 90er Musikszene gilt als moderner Klassiker dieser Sparte und ist für Fans von Irwin Welsh sicherlich ein gefundenes Fressen. Niven hat diese tolle Eigenschaft harte Realität zu betrachten und sie mindestens genauso schmutzig wiederzugeben. Fluchen, verteufeln und alles beschimpft, was nicht bis 3 auch nur den Ansatz macht, auf einen Baum zu klettern gehört zur bei Ihm dazu.
Bei diesem Werk liefert er nun eine autobiografische Geschichte zweier Brüder. Es ist eine traurige Geschichte von ihm und seinem Bruder, der sich nach langem Kampf mit mentalen Problemen wie Kriminalität und Drogen dazu entschlossen hatte sein Leben mit 42 Jahren frühzeitig zu beenden. Im Werk kann man nachlesen wie die Abwärtsspirale, in der sich sein Bruder befand routiert.
Anfangs fand ich diesen Roman etwas schwerfällig. Es hat nicht geholfen, dass ich mich nur wenig für die episodischen Klappentexte über die Mühen des Autors in der Londoner Musikszene und seine gescheiterte Karriere bei A&R interessierte.
Dann hat es mich einfach in seinen Bann gezogen. Jeder, der jemals einen Süchtigen in seiner Familie hatte, jemanden, der destruktiv, unberechenbar und schwer zu lieben ist, wird das nachvollziehen. Denn schwierige Bastarde gehören immer noch zur Familie, sind immer noch Menschen, haben oft Schmerzen und sind nicht in der Lage, Liebe anzunehmen oder zu geben. Der Bruder des Autors, Gary, ist mutig, dumm, streitsüchtig und selbstzerstörerisch. Er leidet auch so sehr unter der Trauer über den Verlust eines Vaters mit so vielen ungelösten Problemen, Cluster-Kopfschmerzen und Depressionen, die durch Drogenmissbrauch verschärft werden. Man kann Gary leicht als Ballast betrachten, als eines dieser Familienmitglieder, denen man so viel wie möglich aus dem Weg geht und die man als Versager betrachtet. Sicherlich tut das der Autor, und ich habe ihm keine Sekunde einen Vorwurf gemacht. Die Menschen müssen ihr eigenes Leben führen, und so tiefgreifende und tief verwurzelte Probleme kann man nicht lösen.
Am Ende dieses Buches habe ich geweint. Es ist eine Hommage an alle Garys, die durch das Raster fallen, die verwundet herumlaufen, Männer, die allein sind, weil sie jeden entfremdet haben, der sich um sie kümmert, aber immer noch menschlich, einsam und leidend sind. Immer noch des Mitgefühls würdig. Immer noch geliebt von ihren Müttern und Geschwistern, die mit der Last von Trauer, Mitleid und Schuldgefühlen zurückbleiben.
Ich kann dieses Buch nur wärmstens empfehlen. Es ist traurig, ehrlich und an manchen Stellen auch lustig.
- Herausgeber : btb Verlag (13. März 2024)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 400 Seiten
- ISBN-10 : 3442762480
- ISBN-13 : 978-3442762484
- Originaltitel : O Brother
- Abmessungen : 14.8 x 4.1 x 21.9 cm
- 24 Euro