Arno Luik hat seine Erfahrungen und Gedanken während seiner Krankheit aufgeschrieben. Als er die Diagnose Darmkrebs erhielt, fühlte er sich, als wäre er in einer völlig anderen Welt aufgewacht. Er begleitete sich selbst während dieser Zeit und beschrieb seine Gefühle, Erlebnisse, Ängste und machte eine Zusammenfassung seiner Erfahrungen.
Und merkt, wie alles unwichtig wird: Gutes Essen? Wein? Krieg in der Ukraine, wachsende Armut? – „Mir gerade ziemlich egal, das alles“ (S.9).
Sein Tagebuch beginnt am 19. September 2022 und endet am 1. Januar 2023. Er hat jetzt noch drei Monate Chemo vor sich und „Es soll wieder so werden wie früher. Es soll so sein wie früher. Wiefrüherwiefrüherwiefrüherwie …“ (S.183).
Ich erinnere mich noch an Arno Luiks Gespräch mit Inge und Walter Jens sowie seine Zeit als Chefredakteur der taz und seine Interviews im STERN. In seinem Buch beschreibt er, wie er mit seinem bevorstehenden Tod umgeht. Seine Gefühle sind angemessen erschüttert und seine Art zu sprechen ist eher mäßig eloquent, aber seine Gedanken sind nachvollziehbar und sowohl ermutigend als auch entmutigend. Das Buch endet offen, und es hängt alles davon ab, ob er großes Glück hat und gute Ärzte findet. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Buches am 3. April lebt er noch.
In seinem Tagebuch reflektiert Arno Luik immer wieder über wichtige Erkenntnisse, Werke und Ereignisse, die ihm am Herzen liegen. Dazu gehören seine bewegende Grabrede für seine kleine Schwester, das Verbot seines Kommentars zur Weltfinanzkrise von 2008 mit dem Titel „Die Diktatur des Kapitals“, sein Bericht über Georg Elser und seinen Anschlag auf Hitler sowie die deutsche Reaktion darauf – inklusive des Vergleichs mit Stauffenberg. Ebenso beschreibt er seine Bewunderung für Boris Becker, seine scharfe Kritik an den Grünen, denen er ihre Zeitenwende nicht verzeihen kann, und er hält von Anfang bis Ende des Buches Robert Habeck, Annalena Baerbock und Anton Hofreiter unerbittlich und radikal ihre Hinwendung zur Waffenwelt vor – ohne jedoch eine Lösung zu haben, die diese Hinwendung überflüssig machen könnte. Luik erkennt, dass wir uns in einer echten Zeitenwende befinden, die dennoch ihre Gründe hat.
Obwohl Arno Luiks Buch sich mit seinem nahenden Tod beschäftigt, bleibt es dennoch wahrhaftig und eindringlich. Sein Abschiedsbrief an die Kollegen vom STERN, den er lange vor seiner Krebsdiagnose geschrieben hat, wirft ein Schlaglicht auf den Niedergang der Presse. Seine Bemerkungen zu Martin Walser, Wolfgang Grupp und vielen anderen verweisen auf eine vergangene Welt. Durch die Briefe und Anmerkungen seiner Freunde und die jeweiligen Reaktionen darauf wird uns gezeigt, was uns erwartet, wenn wir plötzlich mit unserem eigenen Sterben konfrontiert werden und unser Ende nicht mehr unendlich fern, sondern plötzlich sehr nah ist – jeden Tag, jede Nacht und bei jedem Termin. „Wir stellen eine Progression fest“.
Arno Luiks Buch wechselt zwischen zwei Schwerpunkten. Einerseits beschreibt er seine Erfahrungen nach der Diagnose Krebs, indem er seine Erlebnisse im Wartezimmer, Gespräche mit Ärzten und schlaflose Nächte schildert. Auf der anderen Seite diskutiert er die neuesten Entwicklungen in der Welt und präsentiert schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste seine Gedanken zu den Themen, die seit dem 19. September 2022 bis zum Jahresende durch alle Mainstream-Kanäle laufen. Das Buch ist sehr wahrheitsgemäß und hat einige humorvolle, aber traurige Stellen, wie beispielsweise auf Seite 59. Die hochwertige Buchgestaltung passt hervorragend zum Inhalt und macht es zu einem guten Geschenk. Insgesamt ist es empfehlenswert, das Buch zu lesen, mit Freunden und Familie zu diskutieren und sich auf die Inhalte einzulassen, da es um viel mehr geht, als der Klappentext verspricht.
- Herausgeber : Westend; 1. Edition (3. April 2023)
- Sprache : Deutsch
- Gebundene Ausgabe : 192 Seiten
- ISBN-10 : 3864894190
- ISBN-13 : 978-3864894190
- Abmessungen : 12.9 x 2.2 x 20.4 cm