/ Oktober 9, 2025/ Buch

Also ehrlich – wer bei diesem Titel an gemütliche Kaminabende mit Zimtsternen denkt, hat sich ordentlich geschnitten. Ja, es schneit, ja, es ist Weihnachten – aber was Ragnar Jónasson hier abliefert, ist alles andere als besinnlich. „Weich fällt der Schnee“ klingt vielleicht harmlos, aber zwischen den Seiten wird’s schnell eisig, spannend und stellenweise richtig unheimlich.

Das Buch ist eine Sammlung von mehreren Kurzgeschichten, die alle rund um die Feiertage spielen – in Island, versteht sich. Und wer Island kennt (oder wenigstens davon gehört hat), weiß: Wenn dort im Winter Schnee fällt, dann richtig. Kalt, still, dunkel – perfekte Bedingungen für Gänsehaut-Geschichten.


Schnee, Stille und Schockmomente

Jónasson ist ein Meister darin, Stille laut zu machen. Kaum ein anderer schafft es so gut, dass man beim Lesen die Kälte spürt und gleichzeitig dieses flaue Gefühl im Magen bekommt, weil man ahnt: Hier stimmt was nicht.

In einer Geschichte bekommt ein Polizist an Heiligabend einen Einsatz – eigentlich nichts Besonderes, denkt man. Aber klar: Bei Jónasson läuft nie irgendwas normal. Es beginnt harmlos, fast gemütlich, und endet so, dass man sich fragt, wie man jemals wieder beruhigt Geschenke auspacken soll.

Dann gibt’s da diesen Mann, der in der Nacht vor Weihnachten vor einer fremden Tür steht. Total fertig, durchgefroren – und mit einer Bitte, die einem das Blut gefrieren lässt. Oder die junge Frau, die sich auf ein paar ruhige Tage in einer einsamen Berghütte freut – und dann merkt, dass sie doch nicht so allein ist, wie sie dachte.

Das ist das Tolle an diesen Geschichten: Sie wirken anfangs fast idyllisch. Alles ist ruhig, verschneit, friedlich – und plötzlich kippt die Stimmung. Jónasson braucht keine Action oder lauten Knall. Er macht Spannung aus der Stille.


Islands dunkle Seite

Man spürt in jeder Zeile, dass Jónasson Island liebt – aber auch, dass er genau weiß, wie bedrohlich die Natur dort sein kann. Er beschreibt die Landschaft so detailliert, dass man meint, selbst durch den Schnee zu stapfen: die Kälte im Gesicht, das Knirschen unter den Schuhen, das flackernde Licht einer Hütte in weiter Ferne. Und gleichzeitig fragt man sich: Wer oder was wartet da drinnen eigentlich?

Diese Mischung aus Nordlicht-Romantik und düsterer Spannung ist typisch für Jónasson. Er hat dieses Gespür für das Unheimliche im Alltäglichen. Ein Brief, ein leises Klopfen, ein Schneefall – alles kann der Anfang einer Katastrophe sein.


Zwischen Gemütlichkeit und Gänsehaut

Was ich an diesem Buch besonders mag: Es schafft den Spagat zwischen Weihnachtsstimmung und Thrillergefühl. Man kann es sich mit Tee und Decke gemütlich machen – und trotzdem läuft einem ab und zu eiskalt der Schauer über den Rücken.

Jónasson spielt mit dieser Doppelheit: Einerseits das warme Licht, der Duft nach Gebäck, die Familie am Tisch. Andererseits das, was hinter der Fassade lauert – Angst, Schuld, Geheimnisse, Einsamkeit. Und genau das macht seine Geschichten so stark.

Manchmal denkt man: „So was kann doch nur in Island passieren.“ Diese endlose Dunkelheit, diese Weite, diese seltsame Ruhe – perfekte Zutaten für Geschichten, in denen ein einziger Schritt in den Schnee das Leben verändert.


Die Sprache – kühl, klar, präzise

Dank der Übersetzer Andreas Jäger und Anika Wolff kommt das alles wunderbar rüber. Die Texte lesen sich flüssig, aber haben trotzdem diese nordische Kühle. Kein Wort zu viel, kein Satz zu lang – genau richtig, um den Lesefluss zu halten und trotzdem ständig dieses leichte Unbehagen zu spüren.

Und obwohl die Geschichten eher kurz sind, hat jede ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Stimmung. Mal melancholisch, mal brutal ehrlich, mal still und schleichend. Am Ende jeder Geschichte bleibt man kurz sitzen, blättert zurück, liest nochmal eine Passage – einfach, weil man’s wirken lassen muss.


Fazit

„Weich fällt der Schnee“ ist kein typischer Weihnachtsband mit rotnasigen Rentieren und fröhlichen Familien. Es ist ein Buch für alle, die Weihnachten auch mal anders erleben wollen – mit Gänsehaut statt Glühweinrausch.

Ragnar Jónasson schafft es, aus Schnee, Dunkelheit und menschlichen Schwächen etwas Faszinierendes zu machen. Seine Geschichten sind leise, spannend, eiskalt – und trotzdem wunderschön.

Wenn du also auf Krimis stehst, aber genug von klassischen Ermittlergeschichten hast, dann ist das hier genau dein Ding. Schnapp dir eine Decke, mach die Lichter aus, und lies. Aber Vorsicht: Wenn’s draußen leise schneit, wirst du den nächsten Schatten im Garten vielleicht mit anderen Augen sehen.

  • Herausgeber ‏ : ‎ btb Verlag
  • Erscheinungstermin ‏ : ‎ 1. Oktober 2025
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe ‏ : ‎ 192 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3442763215
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3442763214
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.4 x 2.3 x 19.4 cm
  • 20 Euro

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