/ Dezember 30, 2022/ Romane

Nach dem Ersten Weltkrieg kehrt Albert Lintermann schwer versehrt an Leib und Seele auf seinen Hof in Wollseifen in der Hocheifel zurück, den er zusammen mit seinen Eltern bewirtschaftet. Sein bester Freund ist gefallen und seine Frau reagiert mit Ekel und Ablehnung auf sein entstelltes Äußeres. Trotzdem findet Albert durch Arbeit und durch seine Freunde langsam wieder den Weg in die Dorfgemeinschaft und bringt den Hof zu neuer Blüte. Dunkle Ereignisse werfen jedoch ihre Schatten voraus, denn die Nationalsozialisten werden immer mächtiger und wählen schließlich ausgerechnet einen Ort ganz in der Nähe aus, um dort ein Schulungszentrum zu errichten. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, nehmen die Alliierten die Region insbesondere ins Visier. Die Geschichte des Dorfes Wollseifen, das seine Nähe zum Reichsschulungszentrum Vogelsang zum Verhängnis wurde, wird von der Autorin grandios und schnörkellos erzählt. Sie verbindet Familiengeschichte und Gesellschaftsroman und bettet sie in die historischen Ereignisse rund um Wollseifen ein. Die Autorin beschreibt die Geschichte des Dorfes strukturiert und manchmal sogar regelrecht nüchtern, versteht es aber gleichzeitig, unterschwellig und subtil Spannung aufzubauen. Dies gelingt ihr meiner Meinung nach vor allem durch die Einschübe des Tagebuchs des Lehrers Faßbender, der die Ereignisse emotional beschreibt und klug kommentiert. Der Leser bekommt so einen intimeren und einfühlsameren Blick auf das Geschehen und die Gefühle der Menschen als durch die manchmal etwas nüchterne Perspektive der eigentlichen Geschichte.

Die Erzählung ist in drei Teile unterteilt. Der erste Teil beschreibt die Zeit nach Alberts Rückkehr, in der das Dorf trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten blüht und gedeiht. Der zweite Teil zeigt, wie die Nationalsozialisten an die Macht kommen und immer mehr Einfluss im Dorf gewinnen. Der dritte Teil beginnt mit dem Krieg und endet mit der Zukunft des Dorfes. Im Fokus der Erzählung stehen immer die Menschen im Dorf, die einfach nur in Frieden leben, arbeiten und ihre Kinder großziehen möchten. Beeindruckend ist der enge Zusammenhalt, der sich durch alle Zeiten zieht. Besonders gefallen haben mir die authentischen Beschreibungen des dörflichen Alltags, der harten Arbeit und der Hilfsbereitschaft der Dorfbewohner, die immer eine Lösung finden. Die Dorfbewohner zeigen auch, dass Tradition und Moderne gut zusammenpassen. Sie sind traditionell, naturverbunden und gläubig, aber gleichzeitig treiben sie den Fortschritt voran, glauben an die Vorteile moderner Errungenschaften wie Elektrizität und fließendes Wasser und haben sogar ein Kaufhaus. Für sie ist es selbstverständlich, dass man sich gegenseitig hilft.

Der Roman lebt von den detaillierten Beschreibungen der Dorfgemeinschaft und ihres Miteinanders, aber auch von den vielschichtigen und tiefgründigen Hauptfiguren. Es gibt auch Nebenfiguren, von denen manche nur kurz auftauchen, während andere eine wichtigere Rolle spielen. Der Fokus der Geschichte liegt auf Albert Lintermann, dessen Figur nicht nur die Traumata eines Menschen zeigt, der im Ersten Weltkrieg gekämpft und einen Zweiten erlebt hat, sondern auch die Stärke und Fähigkeit zu lieben, trotz Rückschlägen und schwierigen Umständen beizubehalten. Albert ist kein fröhlicher Mensch und unterdrückt normalerweise seine Gefühle, aber seine Fähigkeit, neuen Lebensmut zu finden und immer wieder neu anzufangen, hat mich emotional sehr berührt. Im Laufe der Geschichte zeigen sich seine Gefühle immer mehr und je mehr er sie zulässt, desto emotionaler wird der Erzählstil. Dies wird besonders deutlich in den Passagen, die sich um seine Kinder, Leni und seine Frau Bertha drehen. Bertha selbst hat mich mit ihrer Oberflächlichkeit und ihrem Selbstmitleid allerdings nicht sonderlich angesprochen. Andere starke Charaktere sind Hildegard, Lenis Tochter, und Marie Felten, deren Schicksale mich ebenfalls tief bewegt haben. Ihre Geschichten werden parallel zu Alberts Haupthandlung erzählt und sind gut in die Geschichte des Dorfes Wollseifens integriert.

Fazit: Der Roman zeichnet sich durch eine fesselnde Darstellung des Schicksals des Dorfes Wollseifens und seiner Bewohner aus, die durch tiefgründige Charaktere und Authentizität bestechen. Besonders die einfühlsame Beschreibung der Schicksale der Einzelnen macht die Tragik greifbar und die Geschichte lebendig. Der Roman ist nicht leicht zu lesen, sondern hinterlässt nachhaltige Eindrücke und regt zum Nachdenken an.

  • Herausgeber ‏ : ‎ Ullstein Paperback; 2. Edition (29. Dezember 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Broschiert ‏ : ‎ 400 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3864932025
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3864932021
  • Abmessungen ‏ : ‎ 13.6 x 3.25 x 20.5 cm

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